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Interview mit MB, Auszug zu »TABU I-IV«
von Steff Ulbrich am 4.3. und 12.3.1989


Steff Ulbrich:
Wie entwickelst du die Ideen?

MB:
Grob gesagt kann man bei mir unterscheiden zwischen kleinen Bastelarbeiten, die mehr aus aktuellen Situationen entstehen und die ich spontan aufgreife. Dazu würde ich z.B. »Handfest« zählen, das ist ein Film, bei dem hat sich das Material angesammelt, war archiviert. Natürlich, wenn man spontan die Kamera zur Hand nimmt und alles filmt, was man wichtig oder interressant findet, stellt sich nach drei Jahren vielleicht ein Zusammenhng her zwischen einzelnen Motiven, die einen besonders interessiert haben. Dann paßt das eigentlich sehr gut, dann ist das ein in sich stimmiger Film. »TABU I-IV« ist ein ähnliches Beispiel.
Es gibt aber auch Sachen, die ich mehr konzeptionell angehe, vor allem episodenhafte Dinge, bruchstückhaft. Fragmentarisch vorzugehen ist, denke ich, für Super-8 sowieso angesagt, nicht dieses Drehbuchschreiben, drei Jahre einen Film vorbereiten und dann in 14 Tagen abdrehen. Man sammelt halt mit seiner handlichen Kamera sein Material zusammen, oder man geht eben einen Tag in die Welt hinaus und filmt, was man sich kurz vorher überlegt hat, konzipiert hat. Dann skizziert man eine kleine Geschichte, eine Episode, das kommt der Super-Acht entgegen.

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Steff Ulbrich:
Was wolltest du denn in den Tabufilmen erreichen?

MB:
Also die Aussage im »Tabufilm« ist nicht: was hat Michael Brynntrup am 12 .Mai 1983 gemacht, sondern was ist Tagebuch, wo sind da Tabus, was ist durch das Medium Tagebuch schon vorgegeben? Was sind überhaupt die Bedingungen, ein Tagebuch zu schreiben, z.B. die Eigengesetzlichkeiten des Mediums. Und dann noch die Ebene, wenn man da jetzt einen Film macht, was ist das jetzt? Eine klare inhaltliche Aussage ist z.B., daß Zeit, je näher sie am aktuellen Zeitpunkt, am Jetzt dranliegt, auch umso chaotischer noch ist. Erst im Rückblick, meinetwegen auf die Geschichte, wird es irgendwie klar, im Rückblick legt man der Geschichte irgendwelche Ismen über. So war das beim »Tabu I-IV« auch, also diese vier Tagebücher, das war der vorgegebene Rahmen, die viergeteilte Form. Die Übergänge und Themen sind fließend durch alle Tagebücher durch, wie auch durch alle Filme sich immer die gleichen Fäden ziehen mit anderen Schwerpunkten. Der Tabufilm ist das Bekenntnis, dieses chronologische Chaos auch formal zu greifen. Und darum habe ich das erste Tagebuch im Nachhinein unter diesen Gesichtspunkt gestellt, die Operation. Das zweite habe ich konkret unter ein anderes Thema gestellt, allgemeine Konfusion und Coming-Out. Im dritten Tagebuch wird ganz klar, daß der Tabufilm ein Film ist, eben filmisch, da sind die einzelnen Tagebuchseiten animiert, da bewegt sich was im Tagebuch selbst und das vierte Tagebuch führt an den Anfang des Films zurück, wo ich ins vierte Tagebuch reinschreibe, eine konkrete Situation ist da storyboardmäßig aufgezeichnet, da geht es um das Hier und Jetzt mit dem langen Ende. Also das ist alles ziemlich komplex und in sich verschlungen, aber die Aussage finde ich als Aussage schon mal sehr wichtig, daß man eben versucht, sein Leben zu formen und dabei auch merkt, daß das immer eine Reduzierung, eine Illusion ist.
Sein Leben gestaltet man nicht durch's Tagebuch und wie es dann dort geschrieben steht: so war dann mein Leben, sondern wenn man ein Tagebuch hat, gestaltet man das Tagebuch und damit sein Leben auch immer wieder aktuell und neu, indem man nachliest und unterschiedliche Schwerpunkte feststellt und dann plötzlich sagt: ach, in der Zeit war ich soundso drauf, wie gut, daß das vorbei ist. Aber gleichzeitig bemerkt man, daß so eine Phase auch noch ein Stück von einem heute ist, und so bleibt die Vergangenheit lebendig in dem Sinne, daß man sie nicht ad acta legt, sondern sie weiterhin gestaltet, und das relativiert dann das Denken vom A und 0, und der inneren Notwendigkeit und Schicksalhaftigkeit allen Handelns. Das soll jetzt kein Aufruf zum bewußten Atmen sein, aber das war in etwa mein Themenkreis im Tabufilm.

Steff Ulbrich:
Wo bleibt das Provokative, wenn man versucht ein Tabu als Tabu darzustellen? Was ich erwartet habe war, daß du die Tabus in dir selber zwar nicht löst, aber ansprichst.

MB:
Also Steff, dann nenne du mir doch deine Tabus mal, die aktuellen, hier und heute! Z.B. meine Homosexualität, das war früher tabu, das ist heute nicht mehr tabu, das habe ich im Tabufilm schon deutlich gemacht.

Steff Ulbrich:
Du hast dein Tagebuch bei der Premierenparty als Gästebuch angeboten, aber keiner wollte reinschreiben.

MB:
Privatheit ist eines der letzten Tabus, damit wollte ich die Leute konfrontieren, als ich sie aufforderte, in mein Tagebuch zu schreiben. Denn letztendlich sind Tabus immer selbstgesetzt, ihnen sollte klarwerden, wie weit sie gehen wollen, ob sie die Privatsphäre akzeptieren oder im Tagebuch rumblättern oder etwas schreiben. Dieses Spiel vor einem Spiegel aufgebaut. Die Arbeiten, die ich mache sind alle nicht eingängig und nur sympathlsch, wenn Leute meine Filme angucken, werden sie auch immer mit sich selbst konfrontiert, durch z.B. ein langes Ende, daß sie merken, der Film ist noch nicht vorbei und ich sitze auf einem harten Stuhl und mein Arsch tut mir weh. Ich ziehe sie aus der Illusion, die jeder Film aufbaut, und der Faszination. Ich versuche daran zu arbeiten, die Leute auf sich selbst zurückzuwerfen. Ich biete keine Identifikationsfiguren an, die Leute können sich nur noch mit sich selbst identifizieren. Letztlich geht s immer um das Publikum als persönliches Individuum, das sich mit sich selbst beschäftigen muß.

Steff Ulbrich:
Du würdest deinem Publikum empfehlen, sich besser mit sich selbst als mit deinen Filmen auseinanderzusetzen?

MB:
Nein. Nur denke ich mir, wenn meine Filme einen wirklich positiven Effekt haben, dann den, daß die Leute sich ganz bewußt mit sich selbst auseinandersetzen.

Steff Ulbrich:
Du machst also keine Unterhaltungsfilme?

MB:
Also ich will nicht so Filme machen, die so glatt reingehen und irgendwie glatt vergessen werden, sondern die Mitarbeit erfordern. {-} Also ich will hier jetzt nicht eine Aussage treffen, wo mit Argumenten irgendwie geantwortet werden kann, und was dann erst noch ausdiskutiert werden muß, und wo dann noch ein gemeinsamer Entschluß gefaßt wird. Alles nicht das, was eigentlich die Stabilität des ganzen Systems ausmacht. Sondern einfach auf einen Bereich im Menschen, in jeder Subjektivität hinweisen, wo eben andere Dinge zählen als Worte.

Steff Ulbrich:
Dankeschön,...

MB:
...bitteschön.

(Interview mit Michael Brynntrup, von Steff Ulbrich, translated and printed in: BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Edited by Jürgen Brüning and Andreas Wildfang, Hallwalls / Buffalo, 1989)

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Steff Ulbrich, interview with MB, excerpt on »TABU I-IV«, printed in:
BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Buffalo, 1989