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Interview | interview

Interview mit MB
von Herbert Schwarze am 04. Januar 2001


HS:
Der Versuch, Deine Arbeit in wenigen Sätzen zu definieren: was wäre der eine wesentliche Ausgangspunkt?

MB:
Ich mache persönliche Filme!, das kann man auf jeden Fall sagen. Natürlich liegt ein Quantum Persönlichkeit in jeder künstlerischen Äußerung, selbst in einer großen Hollywoodproduktion. Nur: der Hollywood-Regisseur geht nicht hin und sagt: 'das ist meine Macke' und: 'guckt mal hier: das ist meine Macke', während ich ja natürlich ganz deutlich hingehe und mit meinem eigenen Zeigefinger und mit meiner Hand -Kamera hier und da die Hand sozusagen- auf etwas zeige: 'das, das interessiert mich! - Ich!' Also Filme mache ich in diesem Stil: ganz persönlich, 'authentisch' kann man sagen. Das ist ganz entscheidend für meine Arbeit: persönlich definierbare, auf eine Person auch wieder zurückführbare Bilder zu schaffen.

HS:
Die ganz einfache Frage: wie Du zum Filmemachen gekommen bist.

MB:
...auf Umwegen, aber dann direkt. Also sprich: ich hab alles mögliche ausprobiert, Texte schreiben und Bilder malen und Grafiken, also ich hab mich viel ausprobiert und eigentlich probier ich mich ja immer noch weiter aus, nur eben jetzt -mehr oder weniger- auf ein Medium beschränkt - also Film. Allerdings: Film in allen seinen Erscheinungformen. Die 'Lebenden Bilder' hab ich als Befreiung empfunden. Also ich hatte keinen Spaß mehr quasi 'tote Bilder' / zweidimensionale Bilder für die Wand zu erzeugen. Mir machte es dann mehr Spaß, mit einer Kamera und auch mit mehreren Leuten an Bildern zu arbeiten.

HS:
Gab es ein Initialerlebnis, oder war das eine langsame Entwicklung?

MB:
Ein Initialerlebnis gab es vielleicht insofern als daß ich eine Reise gemacht habe. Also ich bin aus einem gewissen Frust, aus einem spätpubertären Nicht-Wissen-Wohin auf eine größere Reise gegangen, nach Italien. Das war eigentlich eine Reise mit einem Open End, hatte dann aber eine Kamera dabei. Und das war mir bei Antritt der Reise auch ganz klar, daß ich da einen Film bzw. daß die Kamera mein Begleiter sein sollte und also auch die Entwicklung, meine persönliche Entwicklung, meine Suche quasi aufzeichnen sollte. Das ist dann ein Film geworden, wo ich eigentlich alles auch ausprobiert habe, was ich auch weiterhin ausprobiere: das sind halt experimentelle Sequenzen, dokumentarische Sequenzen und inscenierte Sequenzen -in Trastevere im Theater haben wir auf einer Bühne etwas insceniert-, alles kommt in diesem Film zusammen. Und so gehe ich ja heute auch noch vor: also daß ich verschiedene Genres und verschiedene, ja auch Techniken und Medien -wir hatten damals auch mit Video gedreht- zusammenbringe.

HS:
Es hat etwas sehr Obsessives, sich so sehr ins Zentrum der Betrachtung zu stellen. Selbsterkenntnis hast Du als ein Motiv angegeben. Gibt es dazu noch einen anderen Wunsch, einen anderen Motor?

MB:
Ja ich versuche, das Medium nicht funktional nur zu benutzen also zu instrumentalisieren -sozusagen- sondern eigentlich zu personifizieren. Also es kommt darauf an, für mich kommt's ganz wesentlich darauf an, die Leute nicht manipulieren zu wollen, sondern auch die Leute im Verhältnis zu mir über das Medium kommunizieren zu lassen. Also sprich: wenn ich Bilder zeige soll immer klar sein: dieser Herr zeigt diese Bilder, und er möchte damit was sagen, mir als Zuschauer damit was sagen, und ich sprech dann ja häufig auch das Publikum direkt an, so von der Leinwand runter, und es ist auf jeden Fall immer ein dialogischer Prozess, ein Dialog zwischen Personen, den ich versuche zu initiieren, zu zünden im Kino.

HS:
In den Tagebuchfilmen wird man ganz nah an das Persönliche herangeführt und sieht dann das Intime, das Tabu aber doch nicht. - Wie und wo fängst Du an, die Sachen zu inszenieren?

MB:
Aber insgesamt steht der Gedanke schon dahinter -darum heißen die Tagebuchfilme ja auch Tabu-Filme- mit dem Voyeurismus des Zuschauers zu spielen. Also vielleicht das, was ich eben meinte mit diesem 'dialogischen-Prozess-anregen'. Zuerst mal muß ich das Publikum natürlich auch gewinnen. Und ich packe es eigentlich bei seiner Neugierde. Also ich weise das Publikum darauf hin: 'hier stehen meine Geheimnisse' und 'gucken Sie mal!', und dann ist ja schonmal eine Spannung erzeugt.
Naja, Tabus. Ich arbeite dann in diesen Tabufilmen durchaus an den real existierenden Tabus, auch an meinen eigenen Tabus, aber natürlich auch an den Tabus des Publikums: z.B. ist ja Tagebuch eine sehr private, sehr intime Sache, und da ist ja vielleicht das Publikum schon gar nicht gewillt, oder fühlt sich direkt provoziert, wenn es mit dieser Privatheit konfrontiert wird. Manche Leute wollen das ja garnicht, 'ich will ja gar nicht Dein Tagebuch sehen, also das respektiere ich'. Aber ich fordere das Publikum ja sogar auf zum Gucken, Gucken, Gucken. (...)
Ich will ja gar keine Tabus brechen, ich will sie ja im Grunde nur ansprechen und darauf hinweisen: aha, es gibt Tabus! und: wie stehst Du als einzelner Zuschauer zu deinem eigenen Tabu?, wo sind deine Tabus?, das ist eigentlich die Frage, die ich stelle.

(...)

(Interview von Herbert Schwarze am 04. 01.01,
ARTE, 'Kurz-Schluss', TV-Sendung vom 10.02.01)

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