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Interview | interview

Radio-Interview zu »E.K.G.EXPOSITUS«
von Martin G. Schmid und Julia Lazarus, reboot.fm (live), Sendung vom 06.02.2004



[Reboot.fm / Martin Schmid]
Hallo. Ich bin Martin Schmid und ich werde heute ein Interview führen mit Michael Brynntrup, einem Filmmacher auf der jetzigen Berlinale. Es wird vor allem um seinen Film gehen: 'E.K.G. Expositus - die öffentlichen und die künstlerischen Medien', der morgen im Forum der Berlinale Premiere hat.
Hallo Michael, freut mich, dass du da bist.

[MB]
Hallo Martin. Ich freu mich auch.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Zuerst eine kurze Vorstellung von Michael Brynntrup. Also er ist kein Illusionskino-Filmer, sondern eher ein Experimentalfilmer. Und hat auch eine sehr starke Anbindung zu anderen bildenden Künsten, zum Beispiel zu Fotografie. Er stellt auch aus. Vor allem bist du aber Filmemacher.
Ich glaube, du hast inwischen über 50 Kurzfilme gedreht.

[MB]
Ja, ich habe direkt darauf hingearbeitet, dass dieser Film die Nummer 60 bekommt.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Genauso viele Minuten, wie die Sendung heute gehen wird. Eine Stunde – eine Minute, ein Film.
Du arbeitest ja gleichzeitig vor und hinter der Kamera. Mir scheint, das ist ein sehr wichtiges Prinzip in deiner Arbeit.

[MB]
Ja, aber nicht bei allen Filmen. Manche sind mit Schauspielern, und dann ziehe ich mich eigentlich ganz hinter die Kamera zurück. Aber viele meiner Filme kommen als Selbstporträts daher, so auch dieser jetzt. Selbstporträts ja, allerdings in einem erweiterten Sinne. Da geht es nicht unbedingt um meine höchst privaten Befindlichkeiten, sondern da geht es eigentlich um Bilder an sich.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Was heißt eigentlich dieses EKG?

[MB]
Das heißt ja eigentlich Elektrokardiogramm, die Aufzeichnung der elektrischen Aktivitäten des Herzens. Aber das könnte auch, wie bei E.T.A. Hoffmann, die Abkürzung eines Vornamens sein.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
EKG - Das steht auch mit der ersten Szene des Films in Zusammenhang? Da haben wir eine Notaufnahme in einem Krankenhaus in Neukölln, das Immanuel-Kant-Krankenhaus.

[MB]
Yes, also damit geht es los, richtig. Das ist ein sehr dramatisches Intro. Und mit der Szene in der Notaufnahme endet der Film auch, allerdings dann weniger dramatisch.
Also ja: die Klammer des ganzen Projekts ist eine Operation in diesem Krankenhaus.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Am Anfang wird jemand ins Krankenhaus eingeliefert. Am Anfang ist nicht ganz klar, wer das eigentlich ist. Es ist ein Filmemacher, ein "armer Fantast", wie der Sprecher ihn nennt. Dann wird der Verband auf eine ganz blutige Art und Weise vom Gesicht abgenommen. Und nach und nach stellt sich dann heraus, dass du das sein könntest.

[MB]
Ja, richtig. Der Kopf ist total verbunden, und man erkennt überhaupt kein Geischt.
Vielleicht interessant in diesem Zusammenhang ist ja auch diese kleine Sequenz, später im Film, wo man Fotos von mir als Säugling sieht und dann über all die Jahre hinweg viele weitere Fotos bis ich eben erwachsen bin, also bis heute sozusagen. Das ist eine Morph-Sequenz. Da morpht ein Foto ins nächste. Und das zeigt vielleicht in aller Kürze, dass es in dem Film eigentlich auch ums Große und Ganze geht. Also eben um das ganze Leben, was man persönlich oder als Künstler in den Griff bekommen möchte. Bildhaft ist das in dieser Morph-Sequenz ausgedrückt, ja.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Okay, und bei dieser Einlieferung ins Krankenhaus wirst du ja begleitet von einem Fernsehteam, oder sagen wir, der Fantast, der arme Fantast bzw. der Filmemacher, der eingeliefert wird, und der hat "einen hohen Preis zu bezahlen", wie es heisst. Kaum hat man dann das Gesicht erkannt, sitzt du bzw. der Filmemacher zu Hause am Schreibtisch und grübelt über einen originellen Anfang eines Films; hat aber keine Idee für einen Anfang des Films. Vielleicht kannst du sagen, was dann passiert.

[MB]
Ja, ich werde mal ein bisschen ausholen. Also in den 90er Jahren gab es drei spezielle Filme, die für mich immer in einem ganz engen Zusammenhang standen.
Da ist einmal »Aide Memoire«, eine 16-minütige Dokumentation, in Anführungszeichen, über einen Freund, der schon Mitte der 90er Jahre an Aids gestorben ist, Jürgen Baldiga, ein Fotograf. Da haben wir eine klassische Interviewsituation, eher ein Gespräch. Da geht es um Bilder von Leben und Sterben und den Umgang mit diesen Bildern – aus seiner Perspektive als HIV-positiver Fotograf und meiner als Filmmacher, der diesen Film macht.
Und dann ein zweiter Film aus diesen Jahren war »Herzsofort.Setzung«. Da geht es auch um Bilder, aber das ist eher so eine strukturelle Aneinanderreihung von reproduzierten Bildern, Selbstporträts. Ausgangspunkt ist ein Polaroid-Sofortbild, ein Selfie, das ich dann durch 56 Generationen schicke: Kopie von Kopie. Da nutze ich verschiedenste Reproduktionsmedien, die ja immer mit dem Anspruch daherkommen, die Kopie, die Reproduktion bilde quasi das Original ab. Was dann aber offensichtlich nicht der Fall ist: Man erlebt, wie sich das Bild im Laufe der Reproduktionsprozesse stark verändert.
Und dann der dritte Film in diesem Zusammenhang war Mitte der 90er Jahre der »Loverfilm«, wo ich versucht habe, mein Liebesleben zu rekonstruieren anhand von Bildern, die mir noch von den ehemaligen Lovern zur Verfügung standen.
Also kurz gesagt, diese drei Filme standen für mich immer in einem engen Zusammenhang, weil es immer um Bilder ging, Reflektionen über Bilder. Und dann passierte es so, dass diese Filme eine gewisse Aufmerksamkeit in den Medien, also in den öffentlichen Medien, sprich in Radio und Fernsehen, bekommen haben.
TV-Teams haben sich angemeldet, wollten Interviews bei mir daheim führen, und so fängt dann auch der E.K.G. Expositus eigentlich an: Ich sitze zuhause, denke über den Anfang eines Films nach, und dann ruft ein TV-Reporter an.
Sagen wir mal, im Großen und Ganzen ist dieser E.K.G. Expositus die Beschreibung dieser Sekundär-Wahrnehmung von mir, also wie Radio- und TV-Anstalten quasi auf so einen unabhängigen Kurzfilmemacher reagieren. Und wie ich dann wiederum auf die Bilder reagiere, die diese TV-Teams von mir machen. Das ist die ganze Geschichte vom E.K.G. Expositus.

[O-Ton aus dem Film - Reporterin]
Eine Stunde dauert schon die Operation hier im Immanuel-Kant-Krankenhaus in Berlin-Neukölln. Können Sie schon weitere Erkenntnisse der Öffentlichkeit bekannt geben? Wie steht es um unseren Patienten?
[O-Ton aus dem Film - Arzt]
Nun, wir sind natürlich noch bei den Untersuchungen, wir können noch keine genaueren Angaben machen, aber ich bin sicher, dass wir in ein, zwei Stunden Näheres sagen können.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Das war ein kurzer Ausschnitt aus dem Film. Es gibt also diese Krankenhausszene, dann gibt es die Szene zuhause mit der Überlegung, wie könnte ich anfangen? Dann gibt es einen Anruf eines TV-Journalisten, der einen Bericht zu dir mit einem Interview machen möchte.
Und ab dann kann man eigentlich nichts mehr narrativ nacherzählen zu dem Film. Es gibt keinen einfachen narrativen Strang, der durchgeht. Es tauchen bestimmte Segmente immer wieder auf, die sich dann assoziativ ergänzen.
Insofern ist diese Frage, 'wo anfangen?', ziemlich signifikant auch für mich als Interviewer. Mit dem Film hast du ja dann anfangen können, über einen Anruf von außen sozusagen.

[MB]
Ja, so kann man es ausdrücken. Es ist letztlich immer die Realität von außen, die Einfluss nimmt auf das, wie es losgeht oder wie es weitergeht. Und der Zufall spielt dabei auch eine große Rolle. Manchmal ist die Realität sogar so aufdringlich, dass man schnell mit der Kamera reagieren muss. Zum Beispiel gibt es diese Aufnahme aus dem Fenster, wo mich eine Nachbarin mit schwulenfeindlichen Parolen zubrüllt. Also bei solchen Szenen, da muss man spontan auf Realität reagieren.
Und so entsteht halt viel Material, was dann -wie die Realität selbst- erstmal sortiert werden will. Und ja, ich bringe in dem Film sehr viel verschiedenes, sehr heterogenes Material zusammen. Realitätsfragmente, wenn man so will.
Wie du schon anfangs gesagt hast, ich mache kein Illusionstheater. Also ich versuche nicht, ein Gedankengebäude in eine erzählerische Form zu binden. Auch wenn es Momente gibt mit erzählerischen und inszenierten Ansätzen, dann sind meine Filme insgesamt eher nonlinear erzählt. Also keine Geschichten zum Nacherzählen, sondern eher eine Art Collage, wo das eine zum anderen kommt.
Ich versuche, die Filme möglichst flächig anzulegen, sodass man als Zuschauer assoziativ springen kann. Mir ist ganz wichtig, dass diese Filme auch erst im Kopf des Zuschauers entstehen. Und nicht, dass dem Zuschauer etwas vorgespielt wird. Also kein Illusionstheater, sondern ein Mitmachfilm zum Mitdenken.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Du zitierst dich ja häufig selbst in den Filmen, und in diesem neuen Film »E.K.G. Expositus« sind die drei erwähnten Kurzfilme sogar komplett enthalten. Wie sieht es aus mit Zitaten von anderen Filmemachern oder anderen Künstlern? Gibt es da Favorites? Ich hatte das Gefühl, dass du auch Godard zitierst.

[MB]
Ja und nein. Also man fängt ja mit dem Filmemachen nicht ganz bei Null an, sondern man steht in einer geschichtlichen Kontinuität. Ich bemühe mich allerdings sehr, ganz direkt bei mir anzufangen. Also nicht eine Literaturvorlage oder eine Theorie zum Ausgangspunkt zu nehmen. Da versuche ich lieber, ganz bei mir zu bleiben.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Also ich frage einfach mal direkt: bist du vielleicht Fan von irgendjemand?

[MB]
Also wen ich sehr mochte, war zum Beispiel Derek Jarman. Den habe ich in den 80er-Jahren auch persönlich kennengelernt zu der Zeit, als wir Super-8-Filme gemacht haben. Er war ja in London sozusagen das Zentrum in einem Freundeskreis von unabhängigen Filmemachern. Und zu der Zeit waren die Super-8-Szenen in Berlin, London, New York und zum Beispiel auch Frankreich, durchaus eng miteinander verflochten.
Wie Derek umgegangen ist mit Film, mit Bildern, mit seinem eigenen Leben hat mir schon sehr imponiert, muss ich sagen. Auch später noch nachdem seine Filme hier im Berlinale Wettbewerb liefen, hat er weiterhin Super-8-Filme gemacht. Und dieser Wechsel zwischen den Formaten und zwischen dem großen kommerziellen Kino und eben den Filmen, die ganz dicht bei ihm waren, dieser Wechsel war sehr beeindruckend.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Wir hören jetzt nochmal einen Audioclip aus deinem Film, der Sound zu einer Sequenz mit vielen Zeichnungen. Da hast du dein Tagebuch verfilmt. Man sieht Seite für Seite des Tagebuchs in einer ganz schnellen Abfolge und daraus jetzt eine kleine akustische Sequenz.

[O-Ton aus dem Film]
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Zweiter Teil, zweite Abteilung, drittes Hauptstück, fünfter Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes.
Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen, dass ein Wesen, welches wir uns auch als das Höchste unter allen Möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sagt…
[O-Ton aus dem Film - Collage]
Ich hadere mit Gott. Ich versuche, dem Stoff um Kain und Abel eine Interpretation abzugewinnen, die dem Film jetzt… Ursprünglich ausgegangen bin ich von der Überlegung: Ist Gott wirklich gut? Diese Frage zu beantworten, steht mir der Sinn.
…nicht mit Glauben, sondern mit Wissen.
Ich weiß, dass unser Wissen begrenzt ist. Gott ist ein Placebo. Allein der Glaube daran hilft.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Gott ist ein Placebo. Hast du besondere Referenzen zu Kant, der da zitiert wird? Wir wissen ja schon, dass dieser 'arme Fantast' eingeliefert wurde in das Immanuel-Kant-Krankenhaus. Kannst du dazu was sagen? Ist das so ein Spiel?

[MB]
Ja, das ist eher ein freies Assoziationsspiel, eine Anregung, etwas zusammenzudenken. Ich habe ja einige Jahre Philosophie studiert, aber -wohlgemerkt- das Studium dann auch sehr bewusst abgebrochen als ich angefangen habe, Filme zu machen. Da habe ich Kant mit seinen Aprioris von Raum und Zeit kennengelernt. Und das gab mir durchaus ein gutes Stück Weltbild mit auf den Weg.
Aber was mir gerade bei dieser Sequenz durch den Kopf gegangen ist: ich möchte kurz etwas zu den Mitarbeitern sagen, die bei dem Film mitgewirkt haben. Wir können ja zu dem Gott gleich nochmal zurückkommen. Aber Gott in einer sehr menschlichen Gestalt sind wirklich meine Mitarbeiter.
Die Musiker zum Beispiel. Für die Sequenz, die wir gerade gehört haben, hat Rainer Frey, bekannt unter YREF, die Tonbearbeitung gemacht. Und das hat er auch schon häufiger für andere meiner Filme gemacht. Da bin ich sehr glücklich mit YREF und seinen Sounds. Ganz am Anfang haben wir Musik von Jay Ray gehört. Er hat diesen Kurzfilm »Herzsofort.Setzung«, der ja im Expositus komplett enthalten ist, vertont. Damit bin ich auch sehr, sehr glücklich. Und vielleicht hören wir ja gleich auch noch eine Sequenz von Robert Henke, unter Monolake bekannt.
Also ich bin einfach irre glücklich und irre froh mit dieser Situation in Berlin, wo ich einerseits mit interessanten Schauspielern zusammenkomme, aber eben auch mit interessanten Musikern und dann auch mit dem ganzen Technikstab. Also zum Beispiel Uwe Bohrer, der viel Kamera gemacht hat im Expositus. Also ich könnte jetzt doch bestimmt 30 Namen nennen, die ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass dieser Film so entstehen konnte, über die langen Jahre. Also danke an euch. – Danke, danke.
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[Reboot.fm / Martin Schmid]
Vielleicht kannst du noch etwas mehr zu den drei Kurzfilmen sagen, die in diesem Film enthalten sind. Da ist zum Beispiel der »Aide Memoire«, der Film über den Fotografen.

[MB]
Genau, über den Fotografen Jürgen Baldiga. Jürgen ist vor ziemlich genau zehn Jahren, im Dezember 1993, gestorben. Zu ihm gibt es jetzt übrigens auch eine Website: www.baldiga.de, Baldiga mit A. Jürgen ist übrigens auch schon von Fernsehanstalten interviewt worden anlässlich einer Ausstellung von ihm. Das kleine Interview taucht im E.K.G. Expositus auch kurz auf. Und wo ich jetzt gerade die Website so schön durchgebe, Baldiga mit A: Der SFB3 hatte ihn im Untertitel allerdings Baldiger genannt, mit ER. Und da zeigt sich doch sehr schön, dass solche Reportagen oder Recherchen von aktuellen Kulturprogrammen sehr auf der Oberfläche stattfinden und nicht wirklich in die Tiefe gehen, was solchen Menschen, Künstlern, angemessen wäre, was würdig und merkwürdig wäre. – Der Jürgen Baldiga war wirklich ein großartiger Fotograf, und davon kann man jetzt auch einen ersten Eindruck im Internet gewinnen. Darum sage ich das so ausführlich.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Und den hast du dann länger interviewt?

[MB]
Genaugenommen habe ich ihn zweimal interviewt. Das war einmal 1991 und dann nochmal 1993, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Zwei Jahre später wiederum ist dann dieser Film »Aide Memoire« fertig geworden. Eine ganz klassische Interviewsituation eigentlich, ergänzt um einige seiner Fotos, wobei ich mich aber beschränkt habe, nur Selbstporträts von ihm zu zeigen.
Er hat auch sonst viel fotografiert, meist sogenannte Outcasts, zum Beispiel Obdachlose. Und er hat sich auch sehr engagiert in der Aidsprävention, auch mit seinen fotografischen Arbeiten. Anfang der 90er Jahre, muss man sagen, da gab es einfach noch nicht viel Aufklärung zu Aids. Und auch kaum jemanden, der so offensiv mit seiner eigenen Erkrankung umgegangen ist wie Jürgen. »Aide Memoire« ist ein intimes, atmosphärisches Interview, das sich auch entsprechend viel Zeit nimmt.
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[Reboot.fm / Martin Schmid]
Also "www.baldiga.de" kann man nachgucken. Wir haben dann einen anderen Film »Herzsofort.Setzung«, über den wir uns schon kurz unterhalten haben. Der hat angefangen mit einem Polaroid, das sich dann durch verschiedene Reproduktionsprozesse und Medien immer weiter fortsetzt. Das Bild verändert sich durch 56 Generationen. Ich vermute mal, das ist inzwischen noch weitergegangen.

[MB]
Ja, wir sind jetzt bei 76 oder 78 Generationen.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Ja, diese Fortsetzung ist absehbar in dem Film. Man müsste ihn sehen hier im Radio. Er ist vor allem visuell, würde ich sagen.

[MB]
Ja, unbedingt. Wir haben eben etwas Musik aus dem Film gehört. Ansonsten hat er keinen weiteren Ton oder Text. Also dieser Film ist eine reine Bilderorgie, kann man fast sagen, weil er ja wirklich sehr extensiv, exzessiv mit Bild umgeht. Und obwohl er jetzt einen Anfang und ein Ende hat, geht er weiter. Das ist der Plan. Das wird dem Publikum wohl auch klar: Fortsetzung folgt. Das Spiel mit den Medien geht natürlich immer weiter, einfach auch, weil die technische Entwicklung immer weiter geht.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Die ganzen Kurzfilme oder auch die einzelnen Filmsequenzen und Ausschnitte werden ja in »E.K.G. Expositus« zusammengehalten durch verschiedene Reportagen, wie über diese Filme dann wieder in den Medien berichtet worden ist. Das fand ich ja das Interessante an diesem Film, dass er diese Reflexivität über die Wahrnehmung in den großen Massenmedien in einer weiteren Ebene noch enthält.
Ich habe dazu noch ein Stück aus dem Film rausgesucht. Das Stück ist vom Anfang des Filmes, wozu wir schon kurz gesprochen hatten, wo der TV-Journalist dich zuhause besuchen kommt. – Hier also das Interview des Fernsehteams, das Michael Brynntrup selbst mitgefilmt hat.

[O-Ton aus dem Film - Erzähler]
Der Filmemacher bewohnte ein möbliertes Zimmer im Zentrum der Stadt und quälte sich damit ab, originelle Anfänge zu erfinden. Der arme Fantast. Er hatte sich immer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewünscht. Und als er sie endlich bekam, musste er sie mit einem hohen Preis bezahlen.
[O-Ton aus dem Film - TV-Journalist / MB]
Wir sind auch schon fertig. / Echt? / Also von uns aus können wir gleich loslegen. / Ja. Sitz ich gut? / Ja, doch, das ist gut. / Okay. Läuft die schon? / Läuft die Kamera? / Die läuft schon, ja. / Gut, dann können wir anfangen. / Okay.
[O-Ton aus dem Film - TV-Journalist]
Michael, vielleicht zum Anfang ein kurzer Steckbrief. Geboren, Ausbildung, dass wir kurz wissen, wer ist dieser Michael Brynntrup? Rein biografisch.
[O-Ton aus dem Film - MB]
Anfangen? Oh Gott, oh Gott. Immer dieses Anfangen. Also, wo fängt man an?
[O-Ton aus dem Film - TV-Journalist]
Bei der Geburt.
[O-Ton aus dem Film - MB]
Bei der Geburt. Geboren 1959, vor immerhin schon 37 Jahren. Und…

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Und jetzt folgt der Teil, wo die Lebensgeschichte von Michael Brynntrup in Fotos von der Geburt bis heute in einzelnen Morph-Überblendungen dargestellt wird. Da sieht er auch mal kurz aus wie Andy Warhol.
Also meine Frage ist eigentlich, wie sich für dich die Bedeutung deiner filmischen Arbeit durch die Medienrepräsentationen verändert? Ob es auch für dich eine Perspektiv-Veränderung bedeutet, wenn durch diese Reflexion in den Medien dann nochmal ein ganz anderes Bild von deiner Arbeit entwickelt wird. Und du sagst auch einmal in diesem Film »E.K.G.Expositus«, dass Ausschnitte lügen.

[MB]
Ja, Ausschnitte von der eigenen Arbeit, so wie sie in TV-Portraits zusammen geschnitten werden, lügen. Geben natürlich nicht das ganze Bild wider. Das ist ja auch ein Grund gewesen, dass ich meine drei Kurzfilme, über die in Ausschnitten berichtet wurde, im Expositus als Ganzes und in voller Länge zeige. Aber solche TV-Berichte tun auch etwas ganz Eigenes dazu. Wenn sie zum Beispiel Ausschnitte auswählen, die besonders 'spektakulär' sind: Guck' mich, kauf' mich.
Das Interesse der öffentlichen Medien besteht also zu einem Großteil, ich würde sagen zu 50 Prozent darin, sich selbst zu reproduzieren. Beziehungsweise sich selbst zu legitimieren. Diese Selbstbezüglichkeit der Medien und auch, dass die Medien über Medien berichten, hat eine bemerkenswerte Eigendynamik. Etwas pflanzt sich da immer weiter fort, etwas perpetuiert sich da. Also so ist das nunmal.
Zu diesem Aspekt der Selbstbespiegelung möchte ich nochmal betonen, dass es mir in dem Expositus nicht hauptsächlich um mein Privatleben geht. Das auch, aber doch nur beispielhaft. – Es geht eher um die Medienrealität in den 90er Jahren: Wie die Medien sich dargestellt haben. In gewisser Weise, wie kann man sagen, ist der Film eine mediengeschichtliche Betrachtung. Was ist da überhaupt passiert in den 90er Jahren mit uns, die wir immer von Medien umgeben sind. Es ist so viel Neues passiert in den 90er Jahren.
Jetzt muss ich meine Gedanken sortieren. Da gab es den Fall mit dem O.J. Simpson, das war ja Anfang der 90er Jahre so aktuell. Also die Gerichtsverhandlungen zu dem Mord an seiner Exfrau, wie dann die Medien darauf abgefahren sind und das ausgeschlachtet haben. Und wie dieses private Leben von dem American-Football-Star dann öffentlich zelebriert wurde.
Dann haben wir die Lady Di und die Paparazzi-Diskussion gehabt. Und die Anfänge von Selbstreflexion der Medien: "Dürfen wir das", also diese moralisch-ethischen Fragen, wie weit dürfen wir gehen mit unserer Jagd nach Sensationen.
Dann haben wir die Fälschungsvideos von dem Michael Born (zum Beispiel seine Fake-TV-Doku über den Ku-Klux-Klan in der Eifel), auch das alles in den 90er Jahren. Dann haben wir im Jahr 2000 diese Selbstentblößungen im Container, Big Brother. Und sowieso die ganzen Talkshows, diese Nachmittagstalkshows, und die Reality-TV-Shows.
Also das ist alles passiert in den Medien in den 90er Jahren. Und das habe ich natürlich auch versucht, aufzugreifen in dem Film. Dafür habe ich dieses Bild gefunden: Wenn das TV mich filmt, dann filme ich das TV. Da halte ich dem TV einen Spiegel vor. Das ist in etwa so, wie wenn zwei Spiegel sich gegenüberstehen, das führt ins unendliche Nirgendwo. Und das ist natürlich absurd, komisch, vielleicht auch selbstironisch. Aber immerhin ein Ausrufezeichen.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Es gibt also im Expositus auf der einen Seite die drei Kurzfilme, wo du dich sehr stark auf dich selbst beziehst. Da sind Themen wie Katholizismus, Gottesfragen, wichtig, oder auch Polygamie wie in »Loverfilm«, also viele Lover zu haben. Das sind sehr persönliche Themen.
Und auf der anderen Seite gibt es ein Außen, die öffentlichen Medien. Du arbeitest mit dem Film in der Öffentlichkeit. Und du hast Ausstellungen in öffentlichen Kunstinstitutionen. Die öffentlichen Medien berichten über dich; du spiegelst dich in den öffentichen Medien.
Wie bedingen sich diese Selbstreferenzialitäten, also dieses persönlich Selbstbezogene deinerseits und dieses ganz Öffentliche, wo sich die Medien in den Medien auch auf sich selbst beziehen? Ist da eine Parallele vorhanden? Ist das ein Ping-Pong-Effekt?

[MB]
Oh, das sind ja schon fast hochphilosophische Fragen. – Ehrlich gesagt mag ich diesen etwas komplizierten, dialektischen Prozess. Ich versuche immer, einen dialogischen Prozess im Kino zu zünden, in dem Fall natürlich mit dem Publikum. Wenn ich zum Beispiel das Publikum direkt anspreche: "Auch sie sind verantwortlich für die Bilder, die öffentlich werden", wie im »Loverfilm«, dann entsteht da ja schon, wie soll ich sagen, ein Gegenüber.
"Aha, ich hier", also ich als Zuschauer sitze hier und bin angesprochen, muss mich verhalten. Ich sehe das, was da vorne auf der Leinwand passiert. Aber ich merke auch: Diese Leinwand, die saugt mich jetzt nicht ein, wie bei Illusionsfilmen, und lässt mich vergessen, wer ich bin - sozusagen fürs Wochenende.
Ich versuche, diese besondere Realität, die ein Film schafft, für den Dialog zu nutzen, auch während der Film läuft. Also es bleibt immer ein Dialog mit einem Gegenüber.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Ich habe noch so ein Stückchen aus dem Film, eine Passage, wo man auf der Audiospur das gut hören kann.

[O-Ton aus dem Film - Reporterin]
Hier sind wir wieder live direkt aus dem Immanuel-Kant-Krankenhaus in Berlin-Neukölln. TTV Vor Ort. Die Operation dauert nun mittlerweile eine Stunde. Dass das so ist, so vermuten hier die anwesenden Journalisten, lässt sich letztendlich nur auf die Heftigkeit und Schwere der Verletzung zurückführen. Die Pressestelle vom Krankenhaus war jedenfalls bisher zu keiner öffentlichen Stellungnahme bereit. Wir versuchen nun mit einem der leitenden Ärzte direkt ins Gespräch zu kommen.
[O-Ton aus dem Film - TV-Journalist]
Und Scham? Hast du Scham? Kennst du Scham?
[O-Ton aus dem Film - MB]
Ich muss mal kurz was anmerken. Also, an dieser Stelle hat der Film sein dramaturgisches Loch. Ich unterbreche jetzt mal für wenige Minuten, melde mich aber sofort zurück, sobald der Film weitergeht.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Apropos Scham. Würdest du Filme machen und die nicht zeigen?

[MB]
Oh je. Also ich habe schon Bilder, die ich nicht öffentlich mache. Ja, auf jeden Fall. Klar. Aber die Frage: Kenne ich Tabus? Das ist eine gute Frage.
Wie gesagt, diese eine Sequenz, die »Tabu« heißt, zeigt mein Tagebuch, aber so, dass man eben nicht drin lesen kann. Die einzelnen Tagebuch-Seiten sind in einem rasanten Tempo hintereinander montiert.
Du hattest ja schon angedeutet, dass ich mich doch eher als bildenden Künstler begreife mit ein paar Ausstellungen hier und da. In Zusammenhang mit dieser Tabu-Sequenz hab ich ein Internet-Projekt entwickelt, wo man diese Tagebuch-Seiten sogar käuflich erwerben kann. Und sogar übers Internet bestellen kann. Und das ist neulich ganz überraschend auch wirklich passiert.
Das Projekt heißt 'Tabu 2000' und wird auch noch weitergehen, auch noch in veränderter Form. Aber die Seiten, die ich dann da als Einzelstücke weggebe, die sind dann auch wirklich komplett unzensiert. Das kann ich garantieren. Also da steht dann wirklich alles drin, ohne Scham und ohne Tabus.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Du hast doch auch einen Film gemacht, der im Internet anzusehen ist. Der nennt sich »No Film«. Kannst du dazu noch was erzählen?

[MB]
Ja, »Kein Film, No Film«. Genau. Ich nenne den Film 'Festival Film', auf Englisch: 'Film Festival Film'. Den gibt es in zwei Versionen. Einmal ist er online zu sehen mit dem Verweis darauf, dass dieser Film bald auf einem Festival "in ihrer Nähe" zu sehen sein wird. Und dann gibt es ihn auch wirklich als 35mm-Film und als solcher ist er auch schon auf verschiedenen Kurzfilmfestivals gelaufen. Allerdings wird in dem 35mm-Film wiederum nur darauf verwiesen, dass man diesen Film auch online sehen kann.
Also mir ging es in dem »Kein Film« darum, das Thema aufzugreifen, was jetzt so aktuell ist: Digitale Medien, digitale Sendekanäle, wo geht es hin mit den neuen Medien, sprich mit den neuen Technologien.
Dieser Hin- und Her-Verweis zwischen Internet und Kinofilm, diese Selbstreferentialität, ist dabei übrigens ein schöner Verstärker des Gedankens. Film muss sich im Internet ganz neu erfinden, zumindest neu positionieren. Das behandelt in einer sehr abstrakten Form dieser sehr kurze Film, eine-Minute-zwanzig.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Ich habe hier auch den Soundtrack des Films von der Kassette rausgesucht.

[MB]
Der Sound ist von Robert Henke, möchte ich mal sagen.

[O-Ton aus dem Film - Musik]

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Michael, welche Überlegungen hast du zur Finanzierung deiner Filme? Anders als in der Bildenden Kunst, wo man alles eventuell noch selbst finanzieren kann, habe ich bei Filmen den Eindruck, dass man es nicht selber finanzieren kann. Kannst du etwas zur Filmförderung sagen?

[MB]
Der »No Film« ist, wie gesagt, bei mir daheim in Flash auf dem Computer entstanden. Und für diese Eine-Minute-zwanzig-Idee habe ich mir erst gar nicht die Mühe gemacht, eine Finanzierung aufzutreiben. Zumal die Thematik 'Film im Internet' von den Filmförderinstitutionen überhaupt noch gar nicht verstanden wird. Ist leider so.
Aber für so ein Langzeitprojekt, so eine Langzeitbeobachtung wie dieser »E.K.G..Expositus« mit seinen fünf Jahren konkrete Arbeit war das anders. Also für so ein Projekt – was braucht man dafür? Da braucht man im Grunde genommen Lebensmittel. Lebensmittel mehr als eine Filmförderung.
Zum Glück habe ich jetzt, als der Film fertig war, ganz knapp vor der Berlinale eine Zusage bekommen, eine Vertriebsförderung, also eine Präsentationsförderung. Jetzt haben wir einen schönen Flyer gemacht und wir haben die Kopien und wir konnten den Film untertiteln. Alles super gelaufen ganz zum Schluss. Aber die Situation für experimentellen Film, ganz allgemein, für Filme jenseits von Blockbustern und Mainstream, sieht ganz schlecht aus in Deutschland. Und zunehmend schlechter, muss ich auch sagen. Das ist ein echtes Politikum.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Was sind die Tendenzen?

[MB]
Die Tendenzen sind eindeutig: Das Fernsehen mischt sich viel zu sehr in die Filmförderung ein.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Das Fernsehen.

[MB]
Das ist meine Erkenntnis, ja. Also vor fünf Jahren habe ich meine letzte Produktionsförderung bekommen für eben diesen Film Expositus mit einem sehr offenen Konzept. Ich habe denen gesagt, passt auf, das ist eine Langzeitbeobachtung. Ich habe so diese Idee und so eine Idee und so ungefähr. Und mit so einem offenen Konzept habe ich damals bei der kulturellen Filmförderung eine Unterstützung bekommen. Diese kulturelle Filmförderung gibt es gar nicht mehr.
Inzwischen ist es so, dass man als Filmemacher, Produzent, wie auch immer, zuerst das Einverständnis des Fernsehens einholen muss. Also das Fernsehen muss ein Projekt als potenziell sendefähig absegnen. Überhaupt erst dann hat man die Berechtigung, einen Antrag auf Filmförderung einzureichen.
So ist es zumindest in Niedersachsen und in anderen Ländern. Und das ist eigentlich ein Unding. Das ist wirklich ein Unding, das ist politisch, weil: Welche Filme hat man denn überhaupt vor Augen? Welche Filmkultur schwebt einem vor? Was bringt denn die Filmkultur weiter? Da bringt uns doch nur die frei flottierende, wildwuchsartige Kreativität weiter. Nur die bringt doch neue Bilder, neue Ideen, und damit die Filmkultur nach vorne.
Aber wenn man das gleich abblockt und wenn man sagt, das muss so aussehen, wie Fernsehen heute aussieht, dann geht es ja überhaupt nicht weiter mit der Filmkultur. Und das ist ganz schlimm. Das ist ganz, ganz, ganz schlimm.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Wie wehrst du dich dagegen?

[MB]
Indem ich das sage, öffentlich, hier. – Und hoffe, dass es die richtigen Leute hören.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Wie ist dein Vorgehen, wenn du jetzt weiterhin Filme machen möchtest? Flashfilme für's Internet dann doch?

[MB]
Das ist auf jeden Fall eine Option und das habe ich ja auch gemacht, solange ich eben mittellos gehalten wurde. Ich habe eben nicht aufgehört, Filme zu machen. Ich habe geschaut, was mit meinen Mitteln möglich ist. Flash bietet sich da an. Ansonsten habe ich natürlich vor, mich trotz allem in die Schlangen einzureihen und wieder Filmförderung zu beantragen. Da kann man nur hoffen.
Bemerkenswert ist allerdings auch: Viele Filmemacher, die ähnlich wie ich arbeiten, wechseln tendenziell in die Galerieszene, in die Kunstszene, weil da andere Finanzierungsmechanismen greifen, Stipendien, Residencies.
Aber im Kunstbetrieb werden die Videos dann gerne limitiert mit einer geringen Auflage auf DVD und die DVDs werden dann für 2.000, 5.000 Euro gedealt. Diese Videos bekommt die Öffentlichkeit kaum zu sehen; sie verschwinden in irgendwelchen Sammlungen. Das ist aber nicht meine Auffassung von Film oder von Video und auch nicht von Kunst im Allgemeinen.
Kunst bedarf eben der Öffentlichkeit und muss auch wirklich öffentlich zugänglich sein. Wie gesagt, meine Flashfilme zum Beispiel, die kann sich jeder für umsonst aus dem Netz ziehen. Und das ist auch meine Überzeugung, dass die in die Öffentlichkeit gehören.
Die Finanzierung wiederum darf man nicht irgendwelchem Privatkapital überlassen, finde ich, irgendwelchen Sammlern, die dann da plötzlich, finanzstark, irgendeinen Hype auslösen wie an der Börse. Ich finde, die Finanzierung muss auch öffentlich, demokratisch legitimiert sein und da stehen die Filmförderungen in der Verantwortung.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Ist denn diese Kombination von mehreren Kurzfilmen in einem Langfilm, wie in deinem Expositus, auch eine Reaktion auf die Standards der Filmbranche, also quasi angepasst an die Situation, dass Kurzfilme, auch im Fernsehen, viel zu wenig gezeigt werden und ein Langfilm insgesamt mehr Chancen hat?

[MB]
Es ist schon so: Ein Langfilm hat es einfacher als ein Kurzfilm, das merke ich. Ich habe ja schon relativ viele Filme, genau genommen 13 Kurzfilme auf der Berlinale gehabt. Und jetzt, dadurch, dass ich diesen Film quasi als Langfilm dabei habe, bekomme ich auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit. Also auch im Berlinale-Katalog sieht das wesentlich umfangreicher aus und so weiter.
Zum Glück gibt es aber auch die AG-Kurzfilm, also Leute, die sich sehr engagiert um Kurzfilme kümmern, um die Verbreitung, Kino-Auswertung und so weiter. Also da ist schon ein relativ gesundes Gefüge vorhanden, kann man sagen. Aber das große, allgemeine Interesse gilt eindeutig dem Langfilm.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Und im Fernsehen, gibt es denn da Nischen für Kurzfilm? Also ich denke erstmal an Arte, oder?

[MB]
Ja, also sehr glücklich war ich zum Beispiel, im Jahr 2002 war das, als das Arte Magazin 'Kurzschluss' den »Loverfilm« in kompletter Länge, mit immerhin 21 Minuten, ausgestrahlt hat. Als ich den Film machte, dachte ich ganz klar: Das ist bestimmt kein Film, der fürs Fernsehen geeignet ist. Weil er ja gerade diese Zuschausstellung von Privatleben in Medien thematisiert und eigentlich diesen Seelenklau, der damit einhergeht.
Aber da war ich sehr überrascht, und ja: Es gibt diese kleine Nische bei 'Arte Kurzschluss'. Die zahlen übrigens auch gut, das hat mich echt ein halbes Jahr wieder überleben lassen.
Und was darüberhinaus sehr nett von denen war: Die haben mich sogar ein Selbstporträt machen lassen, das ist äußerst ungewöhnlich. Also wie gesagt, dieser Film »E.K.G..Expositus« handelt eigentlich davon, dass Filmteams zu mir in die Wohnung kommen und quasi sekundär über mich berichten. Und Arte hat mir die Chance gegeben, so einen Bericht, also so ein kurzes Portrait über mich, selbst anzufertigen, also ein Selbstporträt. Kurz mit zwei Minuten.

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Eine Passage davon ist ja auch im »E.K.G..Expositus« drin. Ich habe sie gerade da; die können wir jetzt zum Abschluss noch einspielen.

[O-Ton aus dem Film - Arte-Kurzschluss-Teaser]
Und gleich? In seinem Loverfilm listet Michael Brynntrup seine Lover der 70er bis 80er Jahre auf. Eine persönliche Geschichte und gleichzeitig die der Schwulenbewegung in Deutschland.
[O-Ton aus dem Film - MB]
Ich mache mir über mich selbst Gedanken, mir selbst Gedanken und dann frage ich mich natürlich, ist das jetzt noch normal? Ist das normal? Und dann sage ich mir aber auch, wer sagt denn, dass das normal ist? Vielleicht ist das ja normal. Vielleicht ist es nicht normal. Und warum soll ich normal sein?

[Reboot.fm / Julia Lazarus]
Das war nochmal ein Ausschnitt aus dem E.K.G. Expositus. Wie gesagt, morgen Abend um Acht im Arsenal ist die Premiere und wir sind jetzt auch schon fast am Ende unserer Sendezeit. Vielleicht noch eine letzte Frage?

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Eine letzte Frage? Tja, Normalität und Wahnsinn? Kannst du dazu noch was sagen vielleicht?

[MB]
Ja, vielleicht so abschließend. Also das ganze Konzept von dem Film lässt sich vielleicht mit einem Satz ausdrücken.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Oh ja, das ist schön.

[MB]
Ob normal oder wahnsinnig - Das Motto des Films lautet: "Wenn das Fernsehen mich filmt, dann filme ich auch das Fernsehen". Und das soll jetzt zum Schluss auch eine einfache Danksagung sein an die Redaktionen oder die Sender, die sich auf dieses Konzept auch einlassen konnten.
Und das gilt vor allen Dingen dem Tim Lienhard und dem WDR. Also der hat ja dieses ausführliche TV-Interview, das sich durch den ganzen Film zieht, gemacht als TV-Journalist, was sein Beruf ist. Und er hat sich eben auch konkret darauf eingelassen, von mir inszeniert zu werden. Also dann mit Film-Aufbau und Film-Technik etc. Also der Tim Lienhard war da sehr hilfreich und hat dieses Projekt stark unterstützt und der ist dann auch bei der Premiere morgen dabei. - Dem möchte ich besonders danken.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Ja, sehr schön. Dann haben wir also morgen den Film: Im Arsenal um acht Uhr morgen Abend. Und übermorgen nochmal am Sonntag, 8. Februar, um zehn Uhr früh.

[MB]
Danke, danke.

[Reboot.fm / Martin Schmid]
Danke, danke.

(Das Interview führten Martin G. Schmid und Julia Lazarus am 06. Februar 2004 live im Studio Bootlab Berlin; reboot.fm)

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Birgit Hein, "Self Portrait with Skull - Remarks on the films of Michael Brynntrup", BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Buffalo, Mai 1989

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Birgit Hein, "Selbstportrait mit Totenkopf - Bemerkungen zu den Filmen von Michael Brynntrup", Journal Film, Nr.1/91, Freiburg, Januar 1991
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Christoph Tannert, "Ordnungen formaler Ausnahmezustände", Lebende Bilder - still lives (Katalog), New York/Berlin 1992
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Christoph Tannert, "The Classifications Of Formal States Of Emergency", Lebende Bilder - still lives (catalogue), New York/Berlin 1992

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Michael Höfner, "Ein Blick durchs Mikroskop - Gesprächsnotizen", Lebende Bilder - still lives (Katalog), New York/Berlin 1992
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Michael Höfner, "A Look Through The Microscope - Notes from a Conversation", Lebende Bilder - still lives (catalogue), New York/Berlin 1992



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