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Pressestimmen | reviews and articles

Der Toaster und das Abendmahl
von Bernd Kegel


Das Bielefelder Filmhaus, speziell die Abspielstätte 'Lichtwerk', lud jetzt zur ersten offiziellen Pressevorführung; und das gleich mit einem Monumentalfilm (...): der »Monumentalfilm über den Lebens- und Leidensweg unseres Herrn Jesus Christus«.

Der Berliner Filmemacher Michael Brynntrup ist der originäre Schöpfer dieses Mammut-Projektes. In seinen früheren Arbeiten ließ er schon Elemente religiöser Betrachtungen erkennen; nun wandte er sich Motiven des Neuen Testamentes zu.

Er ging daran nach den Prinzipien des dadaistischen Spielchens 'cadavre exquis' ('köstlicher Leichnam') vor: Der 'Lebens- und Leidensweg' wurde in Episoden unterteilt; 24 Gruppen erarbeiteten verschiedene Teile des Films. Der 'Köstliche Leichnam funktioniert normalerweise so: du schreibst ein Wort, malst einen Bildanfang auf einen Zettel, knickst ihn und reichst ihn weiter. Dein Nachbar setzt das Spiel fort, und es kommt vielleicht zu einem köstlichen Ergebnis. Im vorliegenden Falle ist es ein Mammut-Werk von 145 Minuten (Super8, zum größten Teil auf 16mm aufgeblasen worden, das u.a. eine ganze Menge wirklich schöner Bilder zeigt.

Aber nicht nur vom Ästhetischen her ist das Ergebnis spannend: zu den Filmschaffenden, deren Arbeiten hier zusammengefügt wurden, zählen all diejenigen, deren Namen die wichtigen Gegenden der bundesrepublikanischen Schmalfilmlandschaft markieren; dazu kommen einige Künstler, die vorher noch nicht mit der Kamera arbeiteten, deren Mitarbeit jedoch fruchtbar ins Konzept paßte.

Wir finden unter den Autoren und Mitwirkenden: Jörg Buttgereit, der mit seinen Splatters (seinen Blutfilmen) und die Leute von den Teufelsberg-Produktionen, die mit einem Film beim FilmHaus-Fest vertreten waren, wir finden Die Tödliche Doris, die Leute vom Berliner Sputnik-Kino, und auch padeluun und Rena Tangens aus Bielefeld sind dabei, sowie die anarchistische Gummizelle, der Wahre Heino Hähnel...

"Ein solches Mammutprojekt - eine monumentale Bibelverfilmung auf Super 8 - entbehrt nicht einer gewissen Komik, doch soll der ganze Film auch nicht zu einer flachen Klamotte entarten - das Thema ist durchaus ernst gemeint." schrieb Michael Brynntrup.

Er stellt über alle einzelnen Episoden hinweg ein Bindeglied - nämlich den Herrn Jesus dar - von dessen Geburt als Zwilling (Monty Python läßt grüßen) bis zu seiner Himmelfahrt nach einem spacigen count-down.

Zum anderen bildet das für alle Einzelfilme verwendete, sehr grobkörnige Orwo-Material aus der DöDöÖrr eine formal-ästhetische Klammer. Aber nicht nur dieses Material ist der Grund für den Eindruck einer erstaunlichen Homogenität des Gesamtwerkes. Wenn der Streifen einen Überblick über das Schaffen des Super8-Untergrundes von Gesamtdeutschland verschafft, dann zeigt er auch, daß sich da Ausdrucksweisen angenähert haben. Grob gesagt zeigt sich, daß alte Filmoptiken und (bewährte) Experimente der Achtziger verschmelzen und inhaltlich zum Erzählen einer Geschichte verwendet werden. Es scheint sich dabei eine allgemeine Tendenz abzuzeichnen: bestimmte Erfahrungen setzen sich durch und die Filmschaffenden treffen sich auf einem gemeinsamen Niveau.

"Die oft humorvoll und satirisch gestalteten Sequenzen ziehen ihre Substanz nicht nur aus den eigenen, zeitgemößen Interpretationen der Vorlage. Es ist die Kraft des Kinos, die hier völlig unvermutet zum Tragen kommt. Stets in der Nähe zum Kitsch, am Format gemessen völlig überdimensioniert, erschafft der Film mit seinen reichhaltigen Anleihen an Filmoptiken der Stummfilmzeit in einem bestechenden Timing einen neuen Mythos." schrieb Udo Penner.

Jede Gruppe blieb in ihrer Sequenz trotzdem ihrem Thema treu: so fehlt bei Buttgereits 'Kreuzigung' natürlich nicht das Blut (zum Beispiel). Angesichts dieses Monumentalfilms im Kleinformat stellt sich die Frage: Quo vadis, Schmalfilm?. Denn da stehen neben den Bildern des 'genialen Dilletantismus' die geradezu ergreifenden, die schaurig schönen, verhext ausgeleuchteten Bilder - wenn der Teufel als Versucher den in der Wüste unter heißer Sonne darbenden Jesus heimsucht - wenn er ihm die grotesken Figuren, ("alle Reiche dieser Welt") zeigt. Beim letzten Abendmahl qualmen dagegen die Toaster beim Brotbrechen wundersam auf der Tafel und Johannes der Apokalyptiker "nahm das Büchlein von der Hand des Engels und verschlang es" - Verleger Gente Iiest die Wörter vom Weltende und ißt eines seiner Merve-Bändchen auf.

"Schließlich bestimmt die christliche Mythologie -ob wir wollen oder nicht- unseren ganzen abendländischen Kulturkreis, zu dem wir -ob wir wollen oder nicht- ja alle gehören, sagt Michael Brynntrup. Er wird im Herbst mit dem Film auf Tournee gehen und zu beiden Lichtwerk-Terminen anwesend sein.

Ein großer Stoff auf Kleinformat: das ist auf jeden Fall ein skurriles, manchmal irritierendes Vergnügen.

(Bielefelder Stadtblatt, 10.07.86 - Bernd Kegel)

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Eraserhead: "Monument im Kleinformat - Ein sicherer Kandidat für den Cecil B. DeMille-Preis", berlinale-tip Nr.1/86, Berlin, Februar 1986

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tom: "Mysteriöses Mysterium", Nürnberger Zeitung, 31.07.86

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Andreas Wildfang, "Jesus pre Digitales", ARTS in Buffalo, vol 1 N°24, 15.12.88

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Gero von Goell: "Jesus - der Film", Babsies Diktatur, Ausgabe 13, Januar 2004

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Bibliographie zu »Jesus - der Film« | bibliography on »Jesus - The Film«


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