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Jesus - der Film
von Gero von Goell


"Der Heilige Geist wird Dich beschatten, und das Wort des Allerhöchsten wird sich erfüllen, auf das erfüllt wird die Heilige Schrift, wo geschrieben steht, dass das Wort Fleisch wird, - dass das Wort Fleisch wird, Fleisch wird!
So ward das Wort eingefleischt und Fleisch geworten.
Und es entstand aus einem kitzelkleinen Worte 
unsere allerheiligste Jesus-Retorte."
("Jesus-der Film" / Episode "Verkündigung")

Die größte Geschichte aller Zeiten gedreht auf Super-8. Das kleinste Format der Welt also für die größte Geschichte aller Zeiten. Klingt das bescheuert? Ja vielleicht sogar irgendwie krank, blasphemisch? Kann sein, aber auch nur, wenn man in solch beschränkten Kategorien und fest gefahrenen Strukturen denken möchte (und dabei gleichzeitig sein Verständnis von Kunst mit einem verkappt verqueren Weltbild verwechselt).

Man kann das alles schrecklich und/oder peinlich finden, jedenfalls: dieser legendäre Monumentalfilm darf als Paradebeispiel für ReligionKunstFilm wirklich niemals unerwähnt bleiben.

Michael Brynntrup, einer der großartigsten avantgardistischen Filmemacher in D-Land, stemmte dieses wahnwitzige Vehikel für 120 Mitspieler im Jahre 1985 aus der Taufe. 37 Episoden (12 davon hat er selber realisiert) aus der Heiligen Schrift, laut Cecil B. DeMille "das größte Drehbuch aller Zeiten", auf Super-8 gebannt, für sämtliche Beteiligten keine künstlerische Einschränkungen, alles erlaubt also. Das Resultat: ein 2 1Ú2 stündiger Home-Made Mammutfilm von gigantischem Ausmaß.

Man muss sich das mal vorstellen: 37 persönliche Reflexionen, Interpretationen, (Re-)Inkarnationen der heiligsten aller Schriften, gedreht für Lau, einzig erfüllt von der innigen Liebe zum Sujet (und darum keinesfalls lästerlich oder verspottend, wie das einige pseudo-christlich-fundamental verbrämte Zellengenossen sicherlich am liebsten hören wollen), rund 10 Jahre vor Dogma (also dem Manifest, nicht dem Ben Affleck/Matt Damon Scheißdreck).

Die insgesamt 22 Filmemacher, großteils aus der Berliner Undergroundszene (einige exklusive Gäste aus der damaligen DDR sind auch dabei), bekamen von Brynntrup folgende Spielregeln mit auf den Weg:

Jeder Teilnehmer bekommt 2-3 Super-8 Kassetten (s/w Filmmaterial) und darf sich eine Geschichte aus dem Neuen Testament heraussuchen. Wie und mit welchen gestalterischen Mitteln er das Rohmaterial füllt, steht dem einzelnen Künstler völlig frei. Am Ende montierte Brynntrup die fertigen Episoden, von denen die längste 11 Minuten und die kürzeste 40 Sekunden dauert, schliesslich chronologisch aneinander. So entstand dann wahrhaftig ein 2 1Ú2 stündiger Super-8 Koloss von Bibelfilm, der die Geschichte vom Aufstieg und Fall Jesus Christus unseres Herrn in surreal-dadaistischer Form erzählt.

Michael Brynntrup selbst spielt in allen Folgen den Heiland, die Berliner Performance Künstlerin Panterah Countess die Jungfrau Maria und Jürgen Brauch mimt den Antichristen. Obgleich sich Brynntrup bedingungslos in den Dienst der jeweiligen Filmemacher stellte, musste er "die Episoden doch etwas koordinieren, damit ich nicht zwanzigmal gekreuzigt wurde". Ansonsten lief das Spiel ab wie eine Zeichnung, bei der nur ein paar Striche vorgegeben wurden und bei der der jeweils nächste das Bild weitermalen durfte.

Unter den Darstellern und Filmemachern finden sich Namen wie Jörg Buttgereit, Die Tödliche Doris, Lisan Tibodo, Padeluun, Stiletto, Dietrich Kuhlbrot, Anarchistische Gummizelle, die gesamte Belegschaft des MERVE Verlages und und und. Absolute Starbesetzung vor und hinter der Kamera also.

Die trashige Komponente, die die Arbeit mit dem traditionellen Heimkinofilmformat naturgemäß mit sicht bringt (die diversen Episoden wurden, wie bei Super-8 üblich, stumm gedreht, die jeweiligen Kommentare später drübergelegt), setzt das Geschehen in ein ästhetisches Ambiente, welchem der protzend teure Chic fetten Hollywood Produktion freilich und gottseidank gänzlich abgeht.

Doch obgleich sämtliche Akteure und Techniker ihre jeweiligen Arbeiten ernst genug nahmen um das ganze nicht zu einem chaotischen und richtungslosen Happening verkommen zu lassen, strahlen die einzelnen Episoden in ihrer wunderbaren Einfachheit jenes charmante Flair aus, welches dem eines Schultheaters nicht unähnlich sein dürfte. Und Hand aufs Herz: wer hat damals gelacht, wenn der Weihnachtsstern schief an einem Faden baumelte und doch mehr oder weniger nach Pappmaché aussah und die drei Weisen aus dem Morgenland ihre Herkunft vor allem durch das Auftragen von Schuhcreme im Gesicht definierten? Große Kunst entsteht immer im kleinen und Antiklerikalität, Atheismus, ja selbst offensichtlichster religiöser Kitsch verdient es, unscheinbar und selbstverständlich genauso mit dem allergrößtem Respekt, wie auch der nötigen Ironie behandelt zu werden.

Eine meiner Lieblingssequenzen ist "Die wundersame Brotvermehrung": darin spuckt ein Toaster unendliche Mengen geröstetes und mehr oder weniger total verbranntes Weißbrot aus, welches dann an friedliebende Passanten in der Berliner Innenstadt verteilt wird. Auf der Tonspur erklingt parallel dazu "Do they know it's Christmas?" von der Band Aid.

In einer anderen Episode wird die Wiederauferstehung und das ewige Leben von Gottes Sohn durch die schlichte Tatsache erhellt, das eben jener ein Vampir ist! So sieht's aus.

Die biblische Vorlage wurde also nicht 1:1 als unverrückbares Heiligtum verfilmt, sondern radikal und subjektiv in jeweils eigene Bahnen gelenkt, wobei glücklicherweise keiner der Beteiligten auf schale Konfirmantenwitzchen setzte.

In erster Linie wird Jesus in allen Episoden als überaus netter Kerl dargestellt und nicht als der hippie-eske Handelsvertreter aus Galiläa im Walle-Walle Kleid und angeklebtem Vollbart, der gelangweilt und weggetreten im Auftrag des Herrn umherwandelt. Ruft man sich die Tatsache ins Gedächtnis, dass man sich von ihm sowieso kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen darf/soll, dann ist mir eine solche kumpelhafte Auslegung der himmlischen Erlöserfigur absolut sympathisch.

Dennoch wetterte die "Katholische Bibelpost" aufgeregt in einer Rezension des Filmes im November 1986: "Dieser Film und die Kommentare sind teuflisch. Bleibt zu hoffen, dass die Kassen für ihn nicht klingeln.". Dem kann man ein Zitat aus der (evangelischen) "epd Film", ebenfalls vom November 1986, entgegenstellen: "Wird hier den Kirchen die sträfliche Missachtung der Bilder und ihrer eigenen theologischen Aussage in der Form einer völligen Banalisierung der Bilder um die Ohren geschlagen? Oder sind hier Bilderstürmer am Werke, die sich primär selbst der Lächerlichkeit preisgeben, um darin die Absurdität des Lebens, der Welt und ihrer wichtigsten Geschichte zu demonstrieren?".

Kann schon sein, aber vielleicht stellen die einzelnen Episoden einfach auch für Christen eine erbauliche Überprüfung ihrer eigenen Glaubensfestigkeit dar. Betrachtet man das von dieser Warte aus, dann liegen die Dinge schon wieder gänzlich anders (und vielleicht richtiger denn je).

Sicher ist: als diese Berliner Schmalfilmer ihre Kameras auspackten und loslegten, dann sollte das fertige Ergebnis von Monty Python jedenfalls genauso meilenweit entfernt sein wie von Godard, Pasolini oder Jean-Marie Straub. Viel eher erinnert es an die frühgeschichtlichen cinematographischen Taschenspielertricks eines Georges Méliès oder Edwin S. Porter. An jene unbefleckte Naivität also, bei der die einfachsten filmischen Illusionen noch mühelos von Hand gestaltet werden konnten.

Riesigen Spaß scheint's jedenfalls allen gemacht zu haben und neben den vielen ironischen und satirischen Seitenhieben ist "Jesus-der Film" auch ein schillerndes Dokument über das kreative Wirken und Schaffen bundesdeutschen Undergroundkinos in Ost und West, welches hier von tuckiger Campy Attitüde, bis hin zum zungenschnalzenden Judas Kuss und Sylvestercountdownmässiger Himmelfahrt nahezu mit allem aufwartet, was eine postmoderne Neuinterpretationen der Bibel hergeben darf. "Jesus Christ Antistar" nannte das Wiglaf Droste.

"Was sucht ihn den Lebenden unter den Toten? - Guckt nicht so doof, der Herr ist auferstanden, auferstanden." ("Jesus-der Film" / Episode "Erscheinungen")

Und ich wünsche mir sehnlichst eine Doppelvorstellung dieses Films zusammen mit Herbert Achternbusch's "Das Gespenst" im rot geplüschten Multiplexkino meiner Stadt.

(Babsies Diktatur, Ausgabe 13, Januar 2004 - Gero von Goell)
(http://babsie.wisis.de/text/156.htm)


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